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30 Jahre Knorkator – „Weltherrschaft für alle!“

30 Jahre Knorkator – das sind drei Jahrzehnte voller musikalischer Grenzüberschreitungen zwischen Metal, Oper, Nonsens und tiefer Wahrheit. Zum Jubiläum erscheint nun das neue Album mit dem bescheidenen Titel Weltherrschaft für alle!. Doch was steckt dahinter? Rettung, Vernichtung oder pure Verwirrung? Wir haben nachgefragt.

„Weltherrschaft für alle!“ – das klingt nach globalem Gute-Laune-Plan mit leichtem Größenwahn. Wie kam es zu diesem Titel?

Wir leben in einer Zeit, in der immer mehr Absurditäten schleichend den Weg in unsere Normalität finden, weil sie geschickt euphemistisch formuliert unser Unterbewusstsein infiltrieren. „Weltherrschaft“ ist grundsätzlich nichts Gutes und wird nur von Psychopathen angestrebt. Aber „Weltherrschaft für alle!“ klingt irgendwie nach Gerechtigkeit – oder zumindest wie etwas Erstrebenswertes. Doch wenn man nur mal kurz drüber nachdenkt, kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass das ja rein logisch gar nicht gehen kann.
Wenn jeder die Macht über alle anderen hätte, hätte auch jeder andere die Macht über einen selbst. Kurz: Wir wollen die Leute ermuntern, nett klingende Slogans und Narrative öfter mal auf ihre Sinnhaftigkeit zu hinterfragen.

Was kam zuerst: die Album-Idee oder der Plan, zum 30-jährigen Bestehen mal wieder alles auf links zu drehen?

Die ernüchternde Wahrheit ist: Es hätte in diesem Jahr so oder so ein Album gegeben. Ich brauche immer etwa drei Jahre fürs Songwriting. Das Jubiläum ist natürlich ein willkommenes Tool, um mehr Aufmerksamkeit zu kriegen.
Wichtig war mir aber, dass der Albumtitel sich nicht aufs Jubiläum bezieht – einfach, weil kein einziger Song darauf etwas damit zu tun hat. Okay, die Neuauflagen alter Songs irgendwie schon, aber die wollte ich sowieso schon ewig machen. Die Tour wiederum heißt tatsächlich „Aller guten Dinge sind 30“, und das passt ja auch, weil wir den Geburtstag mit den Fans feiern.
Und obwohl ich nicht genau verstehe, was du mit „auf links drehen“ meinst, antworte ich mal ganz kühn: Vielleicht.

Euer Sound war schon immer eine Mischung aus „Auf die Fresse“ und „Bitte nochmal zurückspulen“. Jetzt behauptet ihr, das neue Album sei noch besser als alle davor – völliger Wahnsinn, oder?

Na was erwartest du denn? Stell dir mal vor, wir hätten geschrieben: „Es ist fast so gut wie das davor!“ – das hätte unsere Promo-Agentur niemals zugelassen.

Wann merkt ihr beim Schreiben oder Aufnehmen: „Okay, das ist nicht nur laut, sondern verdammt gut“ – oder ist das Zufall im Chaos?

Solche Momente gibt es pro Song mehrere Male: Zunächst beim Schreiben, dann beim Aufnehmen einzelner Instrumente, wenn plötzlich mehr Leben reinkommt, als auf dem Demo erahnbar war. Und natürlich beim Mischen, wenn plötzlich alles ineinander greift.

Was hat euch dazu bewogen, alte Songs neu einzuspielen – und bei welchen dachtet ihr rückblickend: „Oha … das geht besser“?

Grundsätzlich denke ich bei vielen alten Songs heute, dass da noch mehr drin wäre. Ich verstehe Fans, die die Rohheit und Anarchie der frühen Aufnahmen lieben. Aber viele Lieder waren schon damals Richtung „Metal“ gedacht, und guter Metal braucht eine gewisse Umsetzung. Wir aber waren eher Techno mit Gitarre – und das funktioniert nicht für jeden Song.
„Ick wer zun Schwein“ konnte ich mir zum Beispiel nie genüsslich anhören: zu dünn, zu nervig im Sound. Wir hatten es damals für den Grand Prix ruckzuck fertiggestellt. Jetzt klingt der Song endlich so, wie er es verdient.

Struktur oder Sabotage – was ist wichtiger?

Beides. Struktur ist großartig, aber das können viele. Zerstörung kann unterhalten – braucht aber erstmal etwas, das zerstört werden kann. Unser Vorteil ist: Wir können Strukturen zaubern, haben aber auch den Mut, sie gleich wieder in die Tonne zu treten. Viele bringen das nicht übers Herz – wir haben Riesenspaß dabei.

Drei Jahrzehnte Knorkator – was hat euch durch diese Zeit getragen?

Es gab schon Momente der Unsicherheit. Gerade in den Anfangsjahren, als wir keine Plattenfirma fanden. Oder in den Nullern, als wir vor immer weniger Leuten spielten, ohne davon leben zu können. 2008 haben wir ja auch wirklich mal aufgehört.
Aber am Ende waren es immer die Konzerte, die uns haben weitermachen lassen. Dieses Maß an Begeisterung, das wir in den Gesichtern der Leute sahen, war einzigartig. Da wussten wir: Wenn wir es geschickt angehen, MUSS es funktionieren.

Gab es Momente, wo ihr dachtet: „Jetzt ist es vorbei – jetzt haben wir’s übertrieben“?

„Jetzt haben wir es übertrieben“ – ja, sehr oft. Aber „Jetzt ist es vorbei“ – nie.
Als wir auf einer Tour Gemüse mit einem Häcksler ins Publikum shredderten, waren viele Veranstalter sauer. Oder als ich die Windeln meines Sohnes sammelte und sie als Geschenke ins Publikum warf … da dachte ich: Okay, soweit lieber nicht. Auch der Shitstorm um „We want Mohr“ 2014 war so ein Moment. Aber wir sind an allem gewachsen. Und auch wenn ich heute keine Bildröhren mehr zerschlagen würde – froh bin ich, es einmal durchgezogen zu haben.

Ihr wart nie Mainstream, aber immer präsent. Wie fühlt es sich an, gefeierter Außenseiter zu sein?

Es gibt nichts Schöneres. Wer Mainstream ist, ist auch dessen Regeln verpflichtet – alles, was zu viele Menschen verschreckt, wird ein Problem. Wir dürfen einfach unser Ding machen – und es gibt genug Irre, die das feiern.
Natürlich könnte Knorkator auch noch erfolgreicher sein – aber nicht um jeden Preis!

Früher habt ihr euch von Politik ferngehalten. Warum mischt ihr euch jetzt ein?

Früher war Politik trocken, langweilig und kurzlebig. Meine Kunst war mir zu schade, um über Figuren zu schreiben, die in 50 Jahren keiner mehr kennt. In den 90ern schien ja alles okay: Mauer gefallen, grenzenlose Freiheit. Da schrieb ich lieber über ewige Themen wie das Universum – oder die eigene Kacke.
Heute ist es anders: Politische Entscheidungen haben immer größeren Einfluss auf unser Leben, scheinbar in Stein gemeißelte Wahrheiten werden infrage gestellt. Die Sorge wächst, dass die Welt in etwas Gruseliges abdriftet. Bei Sieg der Vernunft musste das raus. Weltherrschaft für alle ist schon wieder persönlicher – aber man kann kaum noch über Grundsätzliches reden, ohne den aktuellen Wahnsinn mitzudenken.
Wichtig ist uns aber: Wir ziehen niemanden in den Schmutz, nur weil er eine andere Meinung hat. Mich interessiert vielmehr: Wo genau sind wir uns noch einig? Das ist erhellend – leider aber aus der Mode gekommen.

Eure Konzerte wirken wie Rituale zwischen Theater und Wahnsinn. Wie plant man so eine Show?

Da greifen zwei Gegensätze ineinander: Ich bin Perfektionist und dulde bei Songs kaum Improvisation. Stumpen dagegen ist ein Mann des Augenblicks, spielt gern mit dem Chaos. Wenn der Ablauf der Songs sitzt, bin ich zufrieden. Den Rest planen wir grob – und Stumpen macht jede Panne zu einem einmaligen Erlebnis.

Wie viel ist Improvisation, wie viel strategisch geplanter Unsinn?

50:50.

Was war die verrückteste Fan-Reaktion?

Bei einem Konzert in St. Petersburg rannte ein Punk mit Iro und Kutte auf mich zu, warf sich auf den Boden und rief: „Heil Hitler, Alf Ator!“

Und wie lebt es sich als Knorkator privat?

Ganz langweilig. Wir haben Kinder, müssen Urlaube nach Ferienzeiten legen, gehen zu Elternversammlungen, wohnen in Mietwohnungen. Die Bäckerin kennt mich als Kunden, nicht als Knorkator.
Aber ein Unterschied ist da: Während sich andere aufs Wochenende freuen, feiern wir den freien Montag. Wenn Frau und Kind aus dem Haus sind, lege ich mich nochmal hin, schlafe aus, schlurfe im Bademantel in die Küche, mache mir Kaffee – und schaue erstmal einen Actionfilm.

Nehmt ihr auch bewusst Abstand von Knorkator?

Wenn ich neue Leute kennenlerne, versuche ich, die Band so lange wie möglich aus dem Gespräch rauszuhalten. Ich frage lieber mein Gegenüber aus, heuchele Interesse – damit er gar nicht erst auf meinen Beruf kommt. Manchmal klappt das tagelang.

Was ist euch heute wichtiger als früher – musikalisch oder menschlich?

Wir haben gelernt, bewusster miteinander umzugehen. Früher machten wir alles nur aus dem Bauch. Heute wissen wir besser, wer wann Nähe braucht oder eben nicht – und können gut damit umgehen.

„Letzte Frage, bevor ihr endgültig die Weltherrschaft an euch reißt …“ – was wäre eure erste Maßnahme?

Ganz einfach: Unser Regime abschaffen! Ich bin Fan von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Meine Theorie: Die Reichsten lehnen Demokratie ab, weil sie vor allem den Schwächeren nützt. Und sie sind mittlerweile mächtig genug, um vieles auszuhebeln.
Darum: Obergrenze für Reichtum – und danach würden wir uns selbst absetzen. 😀

Und wovor hätte eine Knorkator-Weltregierung am meisten Angst?

Dass wir der Versuchung nicht widerstehen und am Ende selbst zu Getriebenen werden. Bitte keine Knorkator-Weltregierung – wir wollen Musik machen!

Drei Worte fürs Album – aber ohne „Welt“, „Herrschaft“ oder „alle“?

Grandios, zeitlos – und Smiley! 😀

Info
18. August 2025 
9:07 Uhr
Band
Knorkator
Genre
Alternative-Metal Fun-Metal
Autor/en

 Seb

Fotocredit/s
Timo Pohlmann / Heynstudios
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