Das berliner Quartett rund um Jan Listing (Gesang, Gitarre), Alexander Langner (Gitarre), Patrick Bernath (Schlagzeug), und Matthias Heising (Bass) die Chaosbay bilden, gibt es tatsächlich schon seit 2012.
Eine turbulente Anfangsphase, Bühnenpause und Besetzungswechsel haben es der Gruppe jedoch nicht leicht gemacht.
Seit 2020 und spätestens mit ihrer „Boxes“ EP und dem darauffolgenden Album „2222“ im Jahre 2022 konnte die Band jedoch mehr Fuß fassen. Mit diesem gestärkten Aufwind und der neuen Veröffentlichung von „Are You Afraid?“ (via Circular Wave) am 13.09.2024 blicken die vier Herren in Richtung Zukunft.
Was diese Zukunft und letztendlich auch der neueste Streich zu bieten haben, findet ihr in dieser Review heraus:
Tracklist:
01. Are You Afraid?
02. Maniac In The Mirror
03. The Way To Hell
04. Eye For An Eye
05. Psycho
06. Don’t Kill Me (feat. Of Virtue)
07. From Soldier To Prophet To Sinner
08. Money (feat. We Are PIGS)
09. nostalgia
10. Phantom Heart (feat. Awake At Last)
11. Bigger Than You
Hast du Angst?
Den Auftakt gibt es mit dem namensgebenden Titeltrack „Are You Afraid?”, den man sich bereits als Single einverleiben konnte. Dieser wartet mit harmonischen Versen, einem Chorus der direkt im Ohr bleibt und einem groovigen Riff auf. Gerade die gesungenen Textzeilen im Chorus laden zum Mitsingen ein und trotz all der Catchiness wird man hier dennoch mit einem nachdenklichen Text konfrontiert. Gegen Ende überrascht der Track nochmal mit einem Breakdown, der mit einem guten alten „Blegh“ eingeleitet wird.
Ein Blick in den Spiegel und der Weg zur Hölle
Bereits bei Song Nummer 2 „Maniac In The Mirror“, der ebenfalls als Single veröffentlicht wurde, zeichnet sich einer der größten Stärken von Chaosbay ab, denn die Band verlässt sich nicht nur auf eingängige Refrains, sondern auch die Strophen haben Ohrwurmcharakter. Damit ist dieser Track schon ein Paradebeispiel, an der Gitarrenfront lässt man durch die Abdämpfung der Saiten genug Raum für Jan Listing’s Vocals, die durch geschickten Einsatz von Harmonien so richtig glänzen dürfen. Als kleines, aber feines Detail gibt es vor dem letzten Chorus noch eine schöne Chord Progression zu hören.
„When the day is done, are you happy with yourself?”
Nahtlos geht es weiter mit der nächsten Vorabveröffentlichung „The Way To Hell“, welcher die Geschwindigkeit zurückschraubt und für ein ausgedehntes Intro sorgt. Dieser wird mit einem Piano, dezenten Synthesizern und Jan Listing’s Gesang nach und nach aufgebaut ehe Patrick Bernath mit einem Drum Fill vom Allerfeinsten die Instrumentale Front einleitet. Auch hier zeigt sich eine weitere Stärke der Berliner: die Texte. Diese laden immer wieder zum Nachdenken und selbst interpretieren ein, gerade hier zahlt sich auch die fast schon bittersüße Überlieferung des Gesangs aus, welcher in Kombination mit der musikalischen Untermalung für das nächste Highlight sorgen!
„How can it be, that my brother and sisters die
We were children then, now we’re taking lives”
Auge um Auge, Träume und Paranoia
Mit deutlich mehr Schwung was die Geschwindigkeit angeht, geht es bei „Eye For An Eye“ zur Sache. Hier darf Patrick das Drumkit zum Glühen bringen, Jan Listing, Alexander Langner und Matthias Heising hauen ordentlich in die Saiten und sorgen somit wieder für ein grooviges Riffs, dass durch den Chorus und den dezenten Einsatz von elektronischen Elementen aufs Neue im Ohr stecken bleibt. Ach und ein ordentlicher Breakdown fehlt auch hier nicht!
Diesen Schwung nimmt die Gruppe für „Psycho“ mit und eröffnen diesen mit einem weiteren fetten Riff. Insgesamt geht es jedoch etwas gemächlicher zu, quasi als hätten die beiden vorherigen Songs ein Kind gezeugt. Was nicht heißt, dass es nicht ordentlich hart Zugange geht. Jedoch wird mit diesem Track, der mit seinen 5 Minuten die längste Lauflänge auf dieser Platte hat, der Fokus mehr auf Atmosphäre und Unberechenbarkeit gesetzt. Unberechenbar deshalb, da hier die progressiven Einflüsse in den Vordergrund rücken, immer wieder Sektionen eingestreut werden, die sich nach mehrmaligen hören entfalten und das Ende komplett Instrumental ausgeklungen wird, bei dem Matthias Beising am Bass so richtig strahlen darf.
Ein Hit jagt den nächsten
Bei der Hälfte angekommen gibt es erneut eine Vorabveröffentlichung auf die Ohren, aber was für eine.
„Don’t Kill Me“ stellt einen der härtesten und wohl anspruchsvollsten Tracks von Chaosbay in den letzten Jahren dar. Hier wird von Anfang an mit einem wahnsinnigen Riff Gas gegeben, der durch die Art und Weise, wie es gespielt wird fast schon manisch wirkt.
Was den Song außerdem ausmacht, ist der eingangs erwähnte Anspruch. Auch wenn hier alles ziemlich schnell zugange geht, gibt es Tempowechsel die erst alles runterfahren, um dann wieder komplett frei zu drehen. So werden virtuos vertrackte Parts mit melodischen Passagen verschmolzen und ein verdammt schönes Solo hält ebenfalls Einzug. Als wäre das alles nicht schon genug, haben sich die Berliner den Of Virtue Lead Vocalisten Tyler Ennis an Land gezogen, der sowohl mit seinem Gesang als auch Shouts dem Song das i-Tüpfelchen verleiht.
Ein klein wenig durchatmen darf man darauffolgend mit „From Soldier To Prophet To Sinner“, denn hier wird auch wieder viel wert auf die allgemeine Atmosphäre gesetzt. Dennoch zeichnet sich hier wieder die Fähigkeit, Komplexität mit griffigen Hooks und Melodien zu vereinen ab, was dafür sorgt, dass auch dieser Track im Ohr bleibt, bei dem ein wunderschönes Solo sein übriges tut. Wer außerdem aufmerksam auf die Lyrics geachtet hat, bekommt einen textlichen Callback zu „Maniac In The Mirror“!
In Zusammenarbeit mit Produzentin Esjay Jones die unter dem Banner We Are PIGS auch eigene Musik veröffentlicht ist die Singleauskopplung „Money“ entstanden.
Die Gruppe hat auf diesem Track mehr experimentiert denn je, da die Welten von Progressive Metal und Pop noch stärker zusammenprallen. Hier gibt es allerhand Vocal Effekte, elektronische Elemente und den wohl eingängsten Chorus zu hören. Das alles jedoch im Chaosbay Gewand, was im Umkehrschluss heißt, dass für groovige Riffs, heftige Shouts und einem fetten Breakdown gesorgt werden. Zwischendurch haut Jan Listing auch noch einen kleinen Rap Part raus. Ein wilder Ritt, bei dem das Experiment dennoch geglückt ist.
Pure Nostalgie und der Kreis schließt sich
Bereits mit Track 9 wird das Finale der Platte eingeläutet und mit gerade mal 2 Minuten könnte man „nostalgia“ als Interlude verbuchen.
Dennoch: gerade dieser kleine Einspieler ist ebenfalls ein Highlight, da dieser durch seinen 80’s angehauchten Sound wortwörtlich Nostalgie versprüht, was durch die Synthies, dem wohl schönsten Solo auf dem Album und den intrinsischen, fast schon melancholisch gesungenen Textzeilen übermittelt wird, die außerdem eine Vorausdeutung für den folgenden Track bieten.
Und nahtlos weiter geht es mit „Phantom Heart“, welcher aus der Chaosbay Riege nochmal besonders hervorsticht.
Nicht nur da bekannte Trademarks der Gruppe, wie die bereits etablierten Catchy Hooks, harten Riffs und Ohrwurmverdächtigen Refrains genutzt werden, sondern auch bewusst mit bestimmten Sounds gespielt wird, die in Symbiose mit „nostalgia“ die Hörer*innen auf eine Reise in die 2000er versetzen können. Gepaart mit einem Feature von Awake At Last Vocalist Vincent Torres, den emotionalen Text, welcher im Pre-Chorus auch einen Callback zum Titeltrack „Are You Afraid?“ bietet und dem sich stetig ändernden Chorus ist das hier nichts geringeres als wohl mit der beste Track des Quartetts.
Das große Finale ist mit „Bigger Than You“ ein Track, der für sich alleine schon aufgrund seines epischen Refrains funktioniert, noch mehr, wenn man sich mit der Singleauskopplung „Maniac In The Mirror“ vertraut gemacht hat, da dieser direkte Referenzen, sowohl textlich als auch instrumental beinhaltet und am Meisten, wenn man sich das Album von Anfang bis Ende angehört hat.
So geht Songwriting für einen letzten Song!
Fazit:
Was Chaosbay mit Are You Afraid? abliefern ist nur so von Detailverliebtheit gespickt und dennoch weiß die Gruppe, wie sie zwischen der Komplexität und Zugänglichkeit zu wandern hat. Hier werden langjährige Fans der Band, als auch Neuzugänge in knapp 40 Minuten auf eine Reise geschickt, in der alle Hörer*innen etwas für sich entdecken, mitnehmen und gewinnen können. Die Symbiose aus alt und neu ist mehr als geglückt und von mir gibt es 9/10 Punkten.
Außerdem kann man sich noch Live von der Gruppe überzeugen, denn die Tour ist bereits bei folgenden Daten in vollem Gange: