Review

Review

Review

„Misery Made me“ – Silverstein

Nach 2 Jahren sind Silverstein mit ihrem neuen Album „Misery Made Me“ zurück. Während ihr letzter Release „A Beautiful Place To Drown“ eine eher pop-punkige Seite der Band zeigte, repräsentieren die neuesten Arbeiten eine Fusion aus ihren üblichen catchigen Cleans und einer unerwarteten Härte. In den 11 Tracks versucht „Misery Made Me“ die grobe Atmosphäre des Weltgeschehens der letzten zwei Jahre einzufangen. So beschreibt Frontmann Shane Told die Albumessenz folgendermaßen:

Trotz der Berge, die wir in den letzten Jahren erklommen und Felsbrocken, die wir umgestoßen haben, wurden wir mit der Last und dem Elend konfrontiert, über einen längeren Zeitraum relativ am selben Ort zu bleiben. Es wurde wichtig, in der Realität dieses Elends Frieden zu finden. Die Platte handelt von der Akzeptanz einer neuen Realität und der Anpassung an sie.

Silverstein ist seit Anfang der 2000er eine konstante Post-Hardcore-Größe in der Szene, entsprechend wird mit hohen Erwartungen in dieses Review eingetaucht. Also…

Let’s discover the Misery!

Tracklist

  1. Our Song 3:11
  2. Die Alone 2:47
  3. Ultraviolet 2:54
  4. Cold Blood 2:52
  5. It’s Over 3:24
  6. The Altar _ Mary 3:59
  7. Slow Motion 3:09
  8. Don’t Wait Up 3:28
  9. Bankrupt 3:22
  10. Live Like This 3:57
  11. Misery 4:08

Misery made me, nothing can break me

Silverstein gehen mit ihrem Opener „Our Song“ auf Nummer sicher. Und mit diesen Berechnungen…liegen sie goldrichtig. Direkt wird mit voller Power von Shane’s unverkennbarer Stimme und den simplen, catchigen Refrainzeilen im Stil von Silverstein begonnen:

I’ve been getting reckless
Burning through my chances
No looking back when we’re so far gone This is for the fuck ups
Doubled down on back luck
You can tell everybody this is our song

Dieser Track spiegelt voller Tatendrang die Wir-Lassen-uns-nicht-unterkriegen-Attitüde wider. Gleichzeitig trifft er die Thematik einer zähen Welt, die das Elend doch irgendwie durchsteht, mit dem Nagel auf den Kopf.

We would never surrender

Ist das La Dispute oder Counterparts? Nein, der Hardcore-Titel „Die Alone“ ist tatsächlich das Werk von Silverstein in Kooperation mit Comeback Kids Frontmann Andrew Neufeld. Der Song beginnt mit Emotional Hardcore Vocals, wie sie im Buche stehen. Dann geht alles ganz schnell und Hardcorepunkelemente übernehmen das Ruder. In nur 2:47 Minuten schaffen Silverstein den härtesten Song ihrer gesamten Karriere. Mit „Die Alone“ beweist die Band, dass alle nötigen Fähigkeiten besitzen, um die Genregrenzen zu überschreiten. Der Song chauffiert einen ab der ersten Sekunde durch Emotional Hardcore, bevor er punkig in den einen oder anderen Breakdown eskaliert. Die unverkennbaren Cleans kommen immer wieder zur Geltung, dominieren jedoch nicht das Setting. Silverstein hat meinen Erwartungshorizont mit „Die Alone“ einfach gnadenlos überschritten.

Is it chemical? Supernatural?

Wie bekommen Silverstein das immer wieder hin? Mit dem dritten, bereits veröffentlichten Track „Ultraviolet“ wurde wieder ein Ohrwurm erschaffen. Tatsächlich war mir „Ultraviolet“ erstmal für meinen Geschmack etwas zu kitschig. Ich konnte mir einfach keine Vorstellung unter „I get lost in the ultraviolet“ machen. Irgendwie hat mich der Song allerdings doch noch gekriegt. Der Song „Ultraviolet“ beschreibt – genau wie die UV-Strahlung – für das menschliche Auge etwas nicht Wahrnehmbares. Silverstein macht das Ringen mit inneren Zuständen, welche ebenso abstrakt erscheinen durch eine interessante Metapher greifbar:

In ‚Ultraviolet‘ geht es um das Gefühl, machtlos zu sein und unter der Kontrolle der Chemikalien in deinem Gehirn zu stehen“, fügt Shane Told hinzu. „Dass ultraviolettes Licht selbst unsichtbar ist, schien mir der richtige Weg zu sein, diese Vorstellung zu beschreiben. Man verliert sich in dieser unsichtbaren Sache. UV-Licht verursacht auch physische Schäden an unserer Haut, also dient es als eine Art ‚Beweis‘ dafür, dass etwas Unsichtbares wie Angst uns schaden kann.

„Ultraviolet“ erscheint zwar musikalisch ein weniger innovativer Track zu sein, dennoch überzeugen die Gedanken hinter dem Titel.

When did we get so Cold Blooded?

Mit „Cold Blooded“ liefern Silverstein eine emotionale Rock-Ballade. Dabei stehen powervollen und langsame Passagen im stetigen Wechsel. Auch dieser Song hebt wieder die Introspektive hervor und beschreibt gefühlvoll das abgeschottet sein:

Nerve damage
The connection is breaking up
I should panic
‘Cause all I feel is pins and needles

Musikalisch bietet „Cold Blooded“ eine ungemeine Ästhetik, scheint durch die stetige Wiederholung jedoch etwas eintönig, weswegen der Funke nicht ganz übergesprungen ist.

My heart is beating faster and faster

„It’s over“ zählt zu den bereits veröffentlichten Tracks. Mit seinen voranschreitenden Sound bildet es wieder ein gewisses Kontrastprogramm zu vorherigen Song. Gleichzeitig geht „It’s over“ durch sein instrumentales Wechselspiel mit den Vocals ungemein ins Mark über. Das ist definitiv ein Song zum Bangen und Abgehen.

Oh Lord!

„The Altar_Mary“ bildet als Albummitte eigentlich eine Fusion aus zwei Songs. Shane Told knallt einem sofort seine Screams um die Ohren und beweist in „Altar“, dass Silverstein nicht nur eine softe Seite hat. Die Ruhe vor den Sturm bildet ein äußerst interessanter Cleanpart mit einem eher modernen Sound. Der losbrechende Breakdown geht ungemein flüssig in eine Art Orgelmusik über und schafft somit den Spagat zu „Mary“. Die Stille zwischen der Orgelmusik gepaart mit dem Übergang in die mit Autotune unterlegte Cleanstimme ist unfassbar gelungen. Dass Silverstein keinen Autotune nötig hat, ist nicht nur auf Platte gewiss. Allerdings „Mary“ sich dadurch anders ins Gedächtnis eingebrannt und lässt einen mit einer weiteren Überraschung über Silversteins Vielseitigkeit und Gänsehaut zurück:

I say I’m okay but I’ve got a ways to go
Both ends of the candle
burn the rope
So talk to me talk to me; I’ve got it bad
Forgot what I needed lost what I had

Slowmotion

Mit Slowmotion haben wir einen klassischen modernen Post-Hardcore Song. Da Silverstein bereits bei den anderen Titeln eine ungemeine Abwechslung geliefert hat, geht Slowmotion keineswegs unter, sondern erscheint als eine weitere Variation, die das Hörerlebnis genüsslicher erscheinen lässt. Trotzdem wird durch den gewissen Mitsingfaktor im Refrain der Wiedererkennungswert von Silverstein beibehalten. Alles in allem ein starker Song.

While everything inside of me is crashing down

„Don’t Wait Up“ startet melancholisch und schwer. Getragen wird der Song von der Cleanstimme, kann jedoch bereits ab dem Refrain „Don’t wait up now/Heavy heart my heads like ten feet up now“ nicht ganz überzeugen. Insgesamt wird der Song durch wenig instrumentale und lyrische Innovation im Vergleich zu den anderen Songs etwas platt.

Blow it up

Die bereits veröffentlichte Single „Bankrupt“ sticht hingegen wieder stärker hervor. Als einer der härteren Songs bietet er eine Menge Variation durch den stetigen Wechsel zwischen den melodischen Cleans und den härteren Parts. Dabei knallen die Zeilen einem wütend, nein, fast schon sarkastisch entgegen:

Hail to the king
Well, who’s the fucking king?
I won’t be bowing to power I’ll never kiss the ring

Insgesamt heizt „Bankrupt“ mit seinen vorschnellenden, aggressiven Rhythmus ganz schön ein. Ich kann mir gut vorstellen, dass das der Track diesen Festivalsommer richtige Pitstimmung bringt.

Between life and existence

Der vorletzte Track „Live like This“ ist ein Feature mit dem Künstler nothing,nowhere. Für mich verknüpft dieser Titel ein ganz bestimmtes Gefühl. Trotz seiner Simplizität trägt der Song einen wie eine Welle:

Fighting is a bitter pill
When all you’ve got is time to kill

Auch hier weiß Silverstein die Verlorenheit und das Sich-Treiben-Lassen der letzten Jahre richtig einzufangen. Das Ende überrascht einen nochmal mit einer nachdenklichen Akustikeinlage, die fast fließend zum finalen Track führt.

Peace in Misery

Das Outro „Misery“ rundet das Album mit einer schmerzhaft schönen Ballade ab. So kitschig dieses Ende erscheint, es könnte nicht passender sein. Mit einer verträumten, dem Ende entgegenblickenden Melodie wird sich mit den Elend abgefunden:

Will this ever heal?
No I won’t be and I won’t feel alone anymore
So I’ll just let the breeze scatter me
I can find my peace in misery

Und das ist eine schöne Lehre, die Silverstein hier final zieht. Denn wir können die Vergangenheit nicht ändern, jedoch können wir sie verarbeiten.

Fazit

Silverstein hat mit diesem Album ein ungemeines Überraschungsei geliefert. Und wenn ich geliefert, sage, dann meine ich geliefert. Von der Überwindung von diversen Genregrenzen innerhalb von Silversteins Komfortzone bis hin zu gefühlgeladenen Balladen gab es hier das volle Paket. Natürlich ist weniger ein Vergleich zu einem Oldschool-Evergreen-Album „Discovering the Waterfront“ zu ziehen. Aber Silverstein sind auf ihre Weise gewachsen und mit dem modernen Zeitgeist gegangen, ohne sich dabei zu verlieren.

Diesem Album kann ich nur 10/10 Punkten geben.




Info
6. Mai 2022 
10:49 Uhr
Band
Silverstein
Genre
Metalcore
Autor/en

 Tascha

Fotocredit/s
Weitere Beiträge