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The Wise Man’s Fear – „Atlas Ruinica“

Sobald man den Namen der Band aus Indianas Hauptstadt Indianapolis in die Google-Suche eingibt, ist das erste was man auf dem deutschen Markt findet leider nicht die überaus talentierte Musik der Jungs, sondern das gleichnamige Buch des Autors Patrick Rothfuss. Doch genau wie der Autor erzählt uns die Band um die Sänger Joseph Samuel und Tyler Eads ebenso Geschichten und Abenteuer und verbindet das mit der rauen und gleichlautend melodischen Kunst des Metalcore.

Zuletzt veröffentlichten TWMF ihren Longplayer „Valley of Kings“ in 2020, doch leider machte die Pandemie der Band bezüglich einer Tour einen Strich durch die Rechnung. Sehr gerne hätten wohl einige Fans den Klang der Flöte, welche stark an den Klang aus „Der Herr der Ringe“ erinnerte, mal live gehört. Doch was nicht ist, kann ja bekanntlich noch werden.

Der Pandemie sei dank schaffte es die sich selbst dem Fantasycore verschriebene Band ein weiteres neues Abenteuer zu schreiben und produzieren. Nun durften wir am letztenFreitag, den 13. Januar 2023, ihr neues Album „Atlas Ruinica“ endlich in unseren Händen halten.

Tracklist:

01. Tailspin
02. Where The Sky Is Empty
03. Slumbering World
04. The Strength To Bury A Friend
05. Sunchaser
06. The Rival
07. The Absence Of Light
08. Mazerunner
09. Sea Of Fire
10. Solomon´s Gate

Das Geheimnis

Eröffent wird die neue LP durch den Track „Tailspin„, welcher die Hörerschaft direkt als Einleitung mit in die großartige neue Geschichte von TWMF nimmt. Nicht umsonst hört man zu Beginn ein Propellerflugzeug, welches augenscheinlich unter Beschuss steht. Gerade diese kleinen, aber feinen Nuancen zeichnen die Jungs aus, denn da steckt meist mehr dahinter, als man im ersten Moment heraushören kann. Unter anderem sollen die gewitterten oder besser gesagt, schussartigen gespielten Drums und Bass-Akzente im gesamten Song den Beschuss des Flugzeugs wiederspiegeln. Worum geht es nun aber:

Dieser Song schildert einen heftigen Luftkampf irgendwo weit über der Sahara-Wüste zwischen einem Mann namens Carter Lansette in einem kleinen Propellerflugzeug und drei Feinden, die ihm dicht auf den Fersen sind. Von Anfang an ist klar, dass Carter dem Untergang geweiht ist, aber seine Sorge gilt nicht seinem eigenen Leben. Er findet einen seltsamen inneren Trost, als er sich ganz darauf konzentriert, das mächtige Geheimnis aufzuzeichnen, das er im Laufe seiner lebenslangen Suche erfahren hat – das Geheimnis, das seine Feinde mit ihm zu begraben versuchen.

„Wo der Himmel leer ist“

Im darauffolgenden Song „Where The Sky Is Empty“ zeigen die beiden Sänger Joseph und Tyler, wieso man auf den melodischen und harten Sound der Band stehen sollte. Beide klingen für sich sehr einzigartig und werden immer wieder durch ihre Freunde instrumentalistisch untermauert. Einfach nur ein toller Sound, den die Jungs da immer wieder zaubern. Die Geschichte geht, so wie man im dafür vorgesehenen Musikvideo sehen kann, mit der Hauptprotagonistin Elise Lansette weiter.

Es zeigt, wie sie durch das Haus ihres verstorbenen Onkels Carter in der walisischen Landschaft wandert. Obwohl die offizielle Version lautet, dass ihr Onkel bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, spürt sie, dass etwas nicht stimmt, und sucht in seinem Haus nach Hinweisen, die mehr Licht auf seinen Tod werfen könnten. Als sie das Haus erreicht, ist ein Umzugsteam gerade dabei, die letzten Sachen von Onkel Carter für einen Nachlassverkauf zusammenzupacken. Sie wartet, bis sie weg sind, und holt den einzigen Schlüssel heraus, mit dem sich Carters privates Arbeitszimmer öffnen lässt, wo sie mit ihrer Spurensuche beginnt. Als sie einen doppelten Boden in einer Schreibtischschublade entdeckt, findet sie ein Gerät, das eine Kopie der Blackbox-Aufnahme aus dem Flugzeug ihres Onkels enthält, bevor es abgeschossen wurde. Die Aufnahme enthält einen Code, der es ihr ermöglicht, eine geheime Tür zu Carters innerem Heiligtum zu entdecken.

Ambients wo man nur hinschaut

Der dritte Track auf der LP heißt „Slumbering World“ bringt etwas mehr die Ruhe zurück, die wir durchaus auch von TWMF gewohnt sein dürfen. Es wird mit großen Ambient-Stücken geprägt und hat einen sehr cineastischen Klang. Die darauf folgende erdrückende Gitarrenarbeit und das Schlagzeug sind umso eindringlicher, als die Band auf die Atmosphäre achtet und diese Tracks als Reisen in Miniaturformat aufbaut. Doch wie geht die Geschichte weiter?

„Elise folgt den Hinweisen in einem Tagebuch mit Forschungsnotizen, das sie im Arbeitszimmer ihres Onkels findet, und macht sich auf den Weg zum Louvre in Paris. Dort trifft sie auf einen Antiquitätenspezialisten namens Percy Howard. Sie spricht mit Percy und erfährt, dass er ein Kollege und enger Freund von Carter war, der versucht hat, ihn vor den gefährlichen Dingen zu warnen, in denen er gräbt. Er enthüllt, dass ihr Onkel nach dem schrecklichen Atlas Ruinica suchte, als er getötet wurde, einem Buch der Macht aus dem Jenseits unseres Kosmos, das vor langer Zeit die Zerstörung von Atlantis verursacht haben soll.“

Die Ballade des Albums

Es gibt nur ein einziges Wort, mit dem man den nächsten Song „The Strength to Bury a Friend“ am besten beschreiben kann: wunderschön. Und das liegt nicht nur an den sanften Klaviermelodien, sondern auch an Tyler´s Gesang. Es ist eine Hymne, die zweifellos jeden ansprechen wird, der das Pech hatte, jemanden zu verlieren, der ihm nahe stand. Korrekterweise spricht es hier natürlich auch perfekt das Empfinden der Hauptprotagonistin an.

„Dieses Lied beschreibt eine Rückblende auf die Beerdigung von Onkel Carter. Elise nimmt an der Beerdigung teil und verinnerlicht schließlich den Verlust, den sie erlitten hat.“

Fight the fear. Let the sunlight shape your heart’s road, not your sorrow.

Mit der oben zu sehenden Textzeile aus dem Track „Sunchaser“ lässt sich das positive Gefühl, nach der Beerdigung des Onkels Carter wohl am besten beschreiben, welches Elise versucht zu kanalisieren. Ein perfekter Abschluss der ersten Hälfte der LP, bevor der Rest von „Atlas Ruinica“ den Hörer mit heftigeren Riffs und monströserem Gesang erschlägt.

„Sunchaser steht für Elises bewusste Entscheidung, die Fackel der Entdeckung ihres Onkels Carter trotz der Gefahr, in die sie sich dadurch begibt, weiterzuführen. Es ist ein mutiger Entschluss und eine Kampfansage an die geheimnisvollen ptolemäischen Könige, die ihren Onkel ermordet haben. Sie erfährt, dass alle Tore in der Antike einmal Portale gewesen sein sollen, dass aber alle Verbindungen der antiken Portaltore mit Hilfe des Atlas Runica gebaut wurden und beim Verlust des Buches zerbrochen sind. Um ihre Forschungen fortzusetzen, müssen sie ein natürlich vorkommendes Tor finden, das nicht auf den Atlas Ruinica angewiesen ist. Das Lied ist eine Parallele zum Gilgamesch-Epos und seinem Streben nach Unsterblichkeit, von dem Elise erfährt, dass es eigentlich ein Code für ein bestimmtes Tor war.“

Klassischer Metalcore-Sound mit eingängiger Hook

Auf „The Rival“ haben TWMF einen perfekten Feature-Gast eingeladen. Mit Lauren Babic (Red Handed Denial) ist es ihnen gelungen, nicht nur jemanden an Bord zu holen, der der Hauptprotagonistin am Nächsten kommt, sondern sich auch noch sehr gut mit in diesen klassischen Metalcore-Kracher einbauen ließ. Der Track gipfelt in einer männlich-weiblichen Harmonisierung, die ihre Gesangsspanne bis an ihre Grenzen ausreizt.

„The Rival konzentriert sich auf den Konflikt zwischen Elise und dem Anführer der geheimnisvollen ptolemäischen Könige, die sich auf der Suche nach dem Atlas runica ein Wettrennen bis in den nördlichsten Teil Norwegens liefern. Ihre Wege kreuzen sich mehrmals, und Elise entgeht bei mehreren Konflikten in Europa nur knapp einer Katastrophe. Sie entwickeln eine erbitterte Rivalität, die ihre Suche umso dringlicher macht. Dieses Lied steht für Elises Entschlossenheit und ihren unzerbrechlichen Geist angesichts der Widrigkeiten des Unbekannten sowie für die Notwendigkeit, vergangene Misserfolge und Ängste loszulassen, um in die Zukunft zu gelangen.“

Es werde Licht

Bisher vermissen wir noch den Deathcore angehauchten Kracher auf dieser LP. Doch wie jeder weiß, lassen uns in diesem Sinne The Wise Man´s Fear nicht im Stich. Auf dem Track „The Absence of Light“ wird uns dieser knallharte Track endlich geboten. Im wahrsten Sinne des Wortes öffnet der Song ein Portal in der Erzählung. Es ist ein düsterer Track, der mongolischen Kehlkopfgesang, eindringliche Cleans und ein Make Them Suffer-eskes Klavier zu einem der unheimlichsten und dynamischsten Tracks in der Diskografie der Band verbindet.

„Nachdem sie monatelang der Gefangennahme durch die ptolemäischen Könige entgangen ist, schafft es Elise schließlich zu einem geheimnisvollen Gletscher im nördlichsten Zipfel Norwegens. Sie kommt mitten in der Wintersonnenwende an und schleicht sich im Schutz der Polarnacht auf den Gletscher, wo sie singende Gestalten in Gewändern erspäht, die ein Ritual um eine tiefe Gletscherspalte durchführen.
Als das Ritual seinen Höhepunkt erreicht, beginnt die Gletscherspalte mit einem inneren Licht zu leuchten, und ein Portal materialisiert sich. Elise wartet auf den perfekten Moment, um zuzuschlagen, springt aus ihrem Versteck auf dem Gletscher, schiebt sich mit den Schultern an den Kultisten vorbei und stürzt sich in das Portal. Hinter ihr, auf der Oberfläche des Gletschers, hört sie einen markerschütternden Schrei, als ein paar der Kultisten von ihrem Treffer zurückgeworfen werden, und das Portal wird vorübergehend zerstört, kurz nachdem sie es passiert hat. 
Obwohl es einige Augenblicke dauert, bis die Kultisten das Portal wieder öffnen, springt der Anführer der Ptolemäischen Könige durch das Tor hinter Elise her, sobald es wieder auftaucht…“

Eine Reise in die Zwischenwelt

Mazerunner“ setzt die unheimliche Stimmung mit einer stärkeren Ausrichtung auf Synthetik fort. Gepolsterte, futuristische Synthies bieten einen hochfrequenten Kontrast zu den tiefen Bässen und der Gitarrenarbeit. Außerdem gibt es einen weiteren spektakulären Gesangsbeitrag im Zuge eines Features von Nathan Morfoot von SPAWN.

„Elise taucht auf der anderen Seite des norwegischen Gletscherportals auf und findet sich in einer bizarren Zwischenwelt wieder: ein ganzer Planet mit einem Labyrinth in der Leere des Raums. 
Der Zweck dieser Labyrinthwelt ist es, den Eingang zur Ruhestätte des Atlas Ruinica zu schützen und nur denjenigen, die sowohl entschlossen als auch weise sind, zu erlauben, die Kräfte des Buches zu erlangen. 
Nur wenige Sekunden, nachdem sie an diesem seltsamen Ort angekommen ist, tritt der Kultführer der Ptolemäischen Könige durch das Portal, wutentbrannt und wild entschlossen, Elise daran zu hindern, die Atlasruine vor ihm zu erreichen. 
Auf dem Weg zum Zentrum des Labyrinths stoßen die beiden auf viele Gefahren in Form von Fallen, Wächterkreaturen und Illusionen, die alle, die sich dorthin wagen, verwirren sollen. Elise gelingt es, sie von ihrer Spur abzubringen, als sie sich dem Zentrum des Labyrinths nähert und allein auf den letzten Wächter des Labyrinths trifft: eine uralte Sphinx, die den Auftrag hat, das Portal zu bewachen, das zum Atlas Ruinica führt. Nachdem sie das Rätsel der Sphinx richtig beantwortet hat, schenkt er ihr einen Anhänger, der sie zum Buch führt, und kehrt, nachdem er seine Pflicht erfüllt hat, in den Äther zurück. Elise tritt durch das Portal und findet eine andere Welt vor, die noch bizarrer ist als die letzte…“

Das Ziel am Ende des Weges

Mit den letzten beiden Songs zeigen uns TWMF nochmal ihr ganzes Spektrum an der Qualität ihrer Herangehensweise. Der vorletzte Track „Sea of Fire“ strotz nur so vor beinhartem Metalcore, und empfängt uns mit einem gewaltigen Breakdwon. Die Gitarrenarbeit ist im Vergleich zu „The Absence of Light“ nicht ganz so Deathcore lastig, jedoch auch ein verdammt heftiges Stück an Arbeit. Dieser Song könnte durchaus zu einem der besten Klassiker der Band gezählt werden. Zur Veranschaulichung der weiteren Story hat die Band unter anderem auch ein wahnsinnig tolles Musikvideo dazu produziert.

„Elise findet sich schließlich in einer endlosen Wüste wieder, der kosmischen Ruhestätte der antiken Bibliothek von Alexandria. Diese Welt enthält die Summe aller menschlichen Entdeckungen, jedes Sandkorn enthält das Wissen einer ganzen Zivilisation. Elise erreicht einen Abgesandten, der es ihr ermöglicht, jedes einzelne Stück Wissen im Universum anzufordern. Sie bittet um den Atlas Runica und erhält das Buch.“

Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende

Solomon’s Gate“ schließt das Album auf angemessen epische Weise ab. Der in Schichten von Ambient gehüllte Track ist vielschichtig, ohne dass die Band das Gefühl hat, zu viel zu wollen. Es ist eine ausgereifte und experimentelle Version ihres Sounds, mit einer Betonung auf dem Cineastischen. Die Geschichte endet, so wie man es an sich nicht von TWMF gewohnt ist, durchdacht ist es aber allemal.

„Mit dem Wissen aus dem Buch erkennt Elise, dass es einen schlummernden Supergott gibt, bei dem jedes Universum in den endlosen Multiversen aus einzelnen Zellen seines Gehirns besteht. Das im Buch gespeicherte Wissen gibt ihr die Möglichkeit, mit dem schlummernden Gott in Kontakt zu treten und ihn zu erwecken, was ihr nahezu grenzenlose Macht verleiht, aber auch die gesamte menschliche Rasse in Gefahr bringen könnte. Schließlich entscheidet sie, dass die im Buch enthaltenen Informationen viel zu gefährlich sind, um sie zu behalten, und benutzt das Buch, um ein letztes Portal zu öffnen, das als Salomons Tor bekannt ist. Sie geht mit dem Buch durch das Portal und besiegelt damit ihr eigenes Schicksal, sorgt aber dafür, dass das Buch für immer zerstört wird.“

Fazit:

Atlas Ruinica“ ist zweifelsohne die bisher abwechslungsreichste und am besten produzierte Veröffentlichung der Band, obwohl es unter anderem auch ihre längste ist. Die Klaviermelodien und dezenten Streicher, die überall eingestreut sind – von malerisch, cineastisch bis hin zu geradezu bedrohlich – verleihen dieser sehr vielfältigen Sammlung von Tracks einen bewussten und natürlichen Zusammenhalt. In Verbindung mit der Geschichte und Storyline, die über die Songs erzhält wird, ist dieses Album zu dem noch jenes, mit der wohl krassesten und unerwartesten Wendung.

Rating:

Am Ende des Tages gibt es wirklich nicht viel zu bemängeln, auch wenn The Wise Man´s Fear im Vorfeld wirklich viele Singles veröffentlicht haben, vergeben wir 9 von 10 Punkten und würden uns sehr freuen, die Welt des Fantasycore auch mal live in Deutschland erleben zu dürfen.

The Wise Man´s Fear sind:

Joseph Samuel – Vocals
Tylar Eads – Vocals
Nathan Kane – Gitarre, Backing Vocals
Codi Chambers – Gitarre
Thomas Barham – Bass
Paul Liermann – Drums

Info
16. Januar 2023 
22:17 Uhr
Band
The Wise Man´s Fear
Genre
Metalcore Post-Hardcore
Autor/en

 Seb

Fotocredit/s
Pressefoto
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