Das Feuer, das Heisskalt in seinem ersten Frühling, etwa von 2013 bis 2018, entfachte, war von eigener Qualität. In einer damals noch viel unschuldigeren Welt, in der sowohl das Musikmachen als auch das Musikkonsumieren, das Fan-Sein, noch anders funktionierte, weniger algorithmisch fremdbestimmt war, erspielte sich die Stuttgarter Band mit ihren hochemotionalen Texten und Songs, die den Boden unter den Füßen wegreißen, eine tiefe Verbindung zu ihren Hörer*innen. Und die ist geblieben.
Die erste Tour nach der abrupten, vorläufigen Trennung Ende 2018 – dazu gleich mehr – musste kurz nach der Ankündigung fast komplett in größere Locations verlegt werden bzw. war innerhalb kürzester Zeit ausverkauft – ohne dass von neuer Musik die Rede gewesen wäre.
Die Konzerte fanden zumeist in den größten Locations statt, die die Band je als Headliner bespielt hat, und waren geprägt von Wiedersehensfreude, einer gesunden Portion Nostalgie, neu- und wiedergewonnener Zuversicht, einer Atmosphäre der Verbundenheit – genau dieses Gefühl hatten Heisskalt bereits im Opener ihres Debütalbums destilliert: „Das bleibt hier / Das bleibt hier / Das bleibt hier / in meiner Brust”.
Neu mit dabei ist Lola Schrode am Bass, ansonsten sind Heisskalt ab sofort wieder in der ursprünglichen Besetzung auf Tour.
Nun genug der langen Reden und ab ins neue Album „Vom Tun und Lassen„!

Tracklist:
01. Alle Zeit
02. Vampire
03. Lehnen im Licht
04. Wasser, Luft und Licht
05. Sommer
06. Dieses Gefühl
07. Vom Schlimmsten
08. Mit Worten und Granaten
09. Heim
10. Teilchen
„Alle Zeit“ heißt der erste Song auf dem Album – und wie bei allen Heisskalt-Veröffentlichungen ist es wohl der essentiellste Song des Albums. Die Eröffnungszeilen „Sie ziehen mich runter / sie ziehen mich rauf / sie zehren an meinen Kräften / sie zerschneiden mein Haupt / sezieren den Rest mit denen, die geblieben sind / die mit mir durch die Flammen gegangen sind / … / Tu nur noch was ich will / denn ich will alles, was ich muss“ lassen sich einerseits als Kommentar auf den oft mühsamen Weg der Band selbst lesen, der nicht selten von Reibungen zwischen (Musik-)Industrie, Kunst und Freundschaft geprägt war, stehen aber vor allem allgemein für eines der großen Leitmotive von „Vom Tun und Lassen“ – die Selbstermächtigung.
Auch wenn „Alle Zeit“ atmosphärisch langsam anschwillt und nicht wie frühere Opener wie „Euphoria“ oder „Bürgerliche Herkunft“ gleich mit voller Wucht losbricht, ist die Wucht dieses Beginns spürbar. Eine ganze Weltanschauung, eine Haltung zum Leben in unserer Gesellschaft, komprimiert in fünfeinhalb Minuten.
Die drei folgenden Songs „Vampire“, „Lehnen im Licht“ und „Wasser, Luft und Licht“ atmen diese Erkenntnis. Sie klingen unverkennbar nach Heisskalt, setzen sich immer wieder mit schweren, oft düsteren Gedanken auseinander, werden aber nie depressiv. „Ich wollte Klarheit, eine kraftvolle Weichheit. Es sollte ‘nach oben offen‘ klingen“, sagt Mathias.
Der darauf folgende „Sommer“ erinnert in seiner Ästhetik am ehesten an die Songs auf „Idylle“ – doch diesmal gelingt es der Band, die Ernüchterung in Hoffnung zu verwandeln, und der romantisch-naive Text bringt eine fast trügerische Leichtigkeit in den rollenden Sound.
„Dieses Gefühl“ steht wie ein Mantra im Zentrum des Albums, dessen Kraft in seinem Ausbruch liegt. Ihm folgen mit „Vom Schlimmsten“ und „Mit Worten und Granaten“ zwei der musikalisch halsbrecherischsten Songs der Band überhaupt. Sie fließen ineinander, verschmelzen zu einem Ganzen. Hierbei geht es ab wie die Lutzi und ich freue mich jedes Mal, wenn ich diese beiden Knaller nacheinander genießen darf! Klare Empfehlung, das Album sowieso im Ganzen zu genießen und keinerlei Unterbrechungen inmitten zu haben.
„Heim“ war bei der ersten Tournee im Herbst noch unveröffentlicht, wurde aber jeden Abend gespielt. Das pulsierende Stück zog alle Anwesenden in seinen Bann. Völlig unmissverständlich dürfte dieser Song wohl auch auf jedem weiteren Abend mit und von Heisskalt gespielt werden. Pure Liebe!
„Wenn ich mir die Welt anschaue, frage ich mich oft, was in uns Menschen steckt, dass wir immer wieder dieses Chaos und dieses Leid anrichten. Aber in diesem Lied wollte ich mich einmal nicht darauf sondern eine Gemeinsamkeit finden. Und die vermute ich darin, dass wir am Ende alle irgendwie auf der Suche nach einem Ankommen, einem Zuhause, einem Miteinander sind. Ich glaube, wir sind uns alle in unserer Unterschiedlichkeit sehr ähnlich. Und das finde ich sehr berührend und das gibt mir Hoffnung“, sagt Mathias.
Das abschließende „Teilchen“ beschäftigt sich mit der Gleichzeitigkeit aller Dinge, blickt weit hinaus ins Weltall und tief hinein, auf die Ebene des Kleinsten und setzt alles in einen Zusammenhang, stellt es nebeneinander. Vielleicht ist das Leben am Ende doch ganz einfach, ganz selbstverständlich und findet immer wieder neue Formen, trennt sich und findet sich immer wieder neu zusammen, im Großen und im ganz Kleinen.
Fazit:
Heisskalt haben mit „Vom Tun und Lassen“ eine Not eindrucksvoll in Mut verwandelt – am Ende geht es diesmal nicht mehr um die Frage, was bleibt oder nicht. Es geht um die Intensität des Erlebens
selbst. Darum, wirklich alles zu umarmen und in allem menschlichen Chaos Frieden und Hoffnung zu finden. Gerade in den jetzigen Zeit dürften nicht nur bisherige Fans von der Band zu diesem Album greifen, sondern eben auch viele neue Fans, die genau wie ich das Album zu lieben lernen werden.
Rating:
Ich vergebe dem neuen Werk von Heisskalt eine satte 9 von 10 Punkten, da ich das Ganze wirklich sehr feiere und eben auch zu lieben gelernt habe.