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Despite Exile – „Wound“

Nachdem sich die sympathischen Italiener um Despite Exile (selbst ernannten Post-Deathcore-Pizza-Lieferanten) in den letzten zwei Jahren eine kleine Ruhepause oder besser gesagt Schreibpause gegönnt haben, liefern sie am kommenden Freitag, den 02. Dezember 2022, ihr neues Werk „Wound“ ab.

Tendenziell war es gar nicht so ruhig um sie, denn mit den Musikvideos zu ihren Singles „Scepter„, „Riven Mirrors“ und „Custodian“ veröffentlichte die Band um Sänger Jei Doublerice gleich drei Songs aus der neuen LP.

Wound“ wird das dritte Studioalbum der Band sein, ein meisterhaftes Kunstwerk, das sich um die Menschheit und ihren Schmerz dreht. Hierzu sagte Vocalist Jei noch folgendes:

“‘Wound’ is born from the ashes of what was supposed to be our next album, after the pandemic hit us and left us with the time to reconsider everything we were doing. It is a meditation on fragility and on the virtues of acknowledging trauma, and we feel like this is our most mature work yet. It reflects all the dedication, the joy and the pain we’ve been pouring into this band for ten years now, and the fact that growth is a never-ending process.

Die sechsköpfige Post-Deathcore-Band aus Norditalien liefert eine elegante Mischung aus Wut und Zorn. Ihr Sound ist eine Mischung aus technischem Death Metal, schnellen Riffs mit Melodien, epischen Gesängen und tobendem Growls. Nach einer zweijährigen Pause, in der sie ihr Line-up mit einem dritten Gitarristen erneuerten, sind sie nun mit ihrer neuen LP zurück und ob diese zu beeindrucken weiß, erfahrt ihr in unserer Review.

Tracklist „Wound“:

01. Riven Mirrors
02. Scepter
03. After The Deluge
04. Custodian
05. Sunder
06. From The Black Beyond
07. A Pale Glimmer Of Light
08. Lament
09. Golden Shards
10. Hymn Of Failure
11. Wound

Eleganter Einstieg trotz erschütternder Thematik

Zur Eröffnung liefern Despite Exile auf ihrem Track „Riven Mirrors“ musikalisch all das, was wir euch bereits in der Einleitung versprochen haben. „Riven Mirrors“ ist ein kraftvoller Track, der dynamische Gefühle von Lähmung und Isolation mit heftigen Vocals und noch heftigeren Riffs verbindet. Zusätzlich dazu gab es (wie oben kurz beschrieben) auch ein rasantes und teilweise stark verzerrtes Musikvideo, welches die Angst und Verzweiflung des Songs selbst unterstreicht. Sänger Jei fügte noch hinzu:

„“Riven Mirrors“ kam wirklich aus heiterem Himmel. Alles begann mit einem Schlagzeugmuster, das Simone während des zweiten Lockdowns einfiel, nachdem wir beschlossen hatten, das Album von Grund auf neu zu schreiben. Wir begannen also mit den Drums, was für uns sehr untypisch ist. Ich fügte dann einen epischen, melodischen Refrain und die Black-Metal-Vibes hinzu, während Sanchez das mörderische Hauptriff beisteuerte. Das Ganze fühlte sich so organisch und befriedigend an, dass wir dachten, dieser Track verdiene ein Rampenlicht. Andererseits spiegelt der Text die Qualen dieses Moments wider: Der Song handelt im Wesentlichen von Gefühlen der Dissoziation, Lähmung und Isolation. Aber es geht auch um das Paradoxon, Einsamkeit zu teilen, und um die seltsame Art von Erleichterung, die das mit sich bringen kann.“

Groove und rhythmische Intensität mit Epik und Emotion

Es folgt mit „Scepter“ eine weitere Vorab-Veröffentlichtung, wobei dieser Song den Anfang von allem Neuen für Despite Exile darstellt. Der Song ist ein dynamischer und hymnischer Track mit aufwühlenden Vocals und herzzerreißenden Blastbeats, der sich mit einem komplizierten lyrischen Thema befasst, wie Sänger Jei selbst ausführte:

„“Scepter“ ist eine philosophische Reflexion über das Wesen der Macht und darüber, wie man aus der endlosen Spirale der Gewalt ausbrechen kann, auf der Gesellschaften aufgebaut sind. Unter Rückgriff auf die Werke von Hobbes, Hegel und Foucault beschreibt es die zunehmende Desillusionierung von Dienern, die sich nur noch der Hoffnung auf ein höheres Ideal hingeben. Nur wenn wir uns von der Mythologie der Macht lösen und die Illusion zerstören, dass sie einer einzigen Quelle entspringt und besessen werden kann, ist es möglich, diesen Teufelskreis aus Hoffnung und Korruption zu durchbrechen.“

Das Musikvideo selbst glänzt, da es die akribische Leistung jedes einzelnen Mitglieds hervorhebt. Leadsänger Jei gibt einen Einblick in den kreativen Prozess:

„Wir hatten definitiv eine Menge Spaß beim Dreh dieses Videos. Wir haben mit unserem Art Director zusammengearbeitet, um ein gemeinsames Thema und eine gemeinsame Stimmung für die Musikvideos zu finden, um den Kontrast zwischen Hoffnung und Verzweiflung, der sich durch jeden Song zieht, hervorzuheben, aber wir wollten trotzdem, dass es sehr allegorisch und subtil ist; deshalb haben wir für dieses Video mit Symbolen aus der alten Literatur und Gravuren gespielt, die Macht und ihre Auswirkungen darstellen. „

„We are one with our wound…“

Auf dem nachfolgenden Song „After The Deluge“ liefern uns die Norditaliener einen Beweis dafür, welche hoch versierte Technik im Riffing liegt und wie viel Lust die Band hat uns nicht nur zerschmetternden Deathcore um die Ohren zu fegen. Es macht einfach Spaß auf die vielen Nucancen im Gitarrenspiel und Drumming zu achten, denn bei jedem weiteren Durchlauf entdeckt man hier und da eine weitere Nuance. Vor allen Dingen fiel uns aber auf, dass dies vermutlich einer der prägendsten Titel des Albums sein könnte. Mehr dazu verriet uns Bassist Giovanni Minozzi:

Das ist auch ein altes Stück, obwohl es einer der ersten Songs war, die wir umgestaltet haben, als wir uns daran machten, das Album neu zu schreiben. Wir nahmen die Fallujah-Vibes und überlagerten sie mit Atmosphären, experimentierten mit Downtuning, Whammy-Pedalen und cleanen Vocals. Das Ergebnis ist ziemlich unerbittlich, auch wenn wir am Ende feststellten, dass es ein wenig zu dicht war, um als Single veröffentlicht zu werden. Dennoch ist die Idee für den Titel des Albums von diesem Stück ausgegangen.“

Griechische Mythologie

Die düstere Atmosphäre und die schweren, melodiösen Riffs auf dem Track „Custodian“ sind „inspiriert vom Mythos des Sisyphos„, einer Figur aus der griechischen Mythologie, die aus Homers Ilias bekannt ist. Despite Exile haben sich in der Black Metal-Szene und darüber hinaus einen Namen gemacht, indem sie in ihrem Werk die unterbewussten Traumata der Gesellschaft erforschen.

Custodian“ ist ein Song über Trauma und die Art und Weise, wie es das Leben von Individuen und Gesellschaften strukturiert und über die verschiedenen Abwehrmechanismen, die ins Spiel kommen, um die Kräfte einzudämmen, die die Verdrängung des Traumas hervorruft. Der Song stützt sich stark auf Konzepte aus der Psychoanalyse, um das Thema der Verletzlichkeit und das Gefühl der gemeinsamen Einsamkeit zu erforschen, lässt sich aber auch vom Mythos des Sisyphos inspirieren, der den langen Marsch der Menschheit als eine unendliche, zermürbende Aufgabe beschreibt. All dies wird durch eine unerbittliche Kombination aus düsteren Atmosphären, langsamen, schweren Riffs und Black-Metal-Vibes vermittelt.

Harte und hartnäckige Arbeit zahlt sich aus

Wie bereits häufig von der Band selbst beschrieben arbeitete man an dem voran gegangen Aufnahmen immer weiter, bis man letztendlich „Wound“ in seinen Händen hielt. „Sunder“ ist einer der Songs, an dem die Jungs am längsten und hartnäckigsten gearbeitet haben. Denn: was lange währt, wird endlich gut! Obwohl der Track vermutlich bereits nach den ersten Demo-Aufnahmen zu einem der besten gezählt hätte. Besonders getragen wird der Titel durch den abschließenden Bass- und Schlagzeug-Breakdown, welchen wir in dieser Form nur selten auf die Ohren bekommen haben (wenn überhaupt). Bassist Gio verriet uns noch folgendes zum Song:

„All die Themen, die wir in den letzten vier Jahren erforscht haben, kommen in diesem Stück zusammen; in gewisser Weise ist es eine Versöhnung mit unserer eigenen Getrenntheit. Es geht darum, sich mit der Tatsache abzufinden, dass wir von innen heraus gespalten sind, was die Form des Eins-Seins ausmacht.“

Darf es etwas Ambient sein?

Auf „From The Black Beyond“ spielen die Norditaliener mit gregorianischen Gesängen, welche ein faszinierends Ambiente rund um den Song kreieren. Despite Exile wollten einen Moment des Innehaltens und der Erinnerung schaffen, der die zweite Hälfte des Albums einleitet. Der Gesang stammt aus der atemberaubenden Serie von „Outrenoirs“ des französischen Künstlers Pierre Soulages, die das Konzept stark beeinflusst hat. Am Ende ist es das, was alle bereits vermutet haben: ein verdammt geniales Interlude.

Eine unerwartete Wendung…

Ballade oder nicht, „A Pale Glimmer Of Light“ war die letzte Single-Auskopplung bevor „Wound“ das Licht der Welt erblicken wird. Und auf jeden Fall ist der Track eine unerwartete Wendung, obwohl sich der etwas andere Stil bereits durch das voran gegangen Interlude etwas angedeutet hat. Bassist Gio hat seine ganz eigene Sichtweise auf den Song:

„Was wir uns bei diesem Song vorgenommen haben, war eine Ballade zu schreiben. Ich weiß nicht, ob es sich wirklich als solche qualifiziert, aber es ist auf jeden Fall ein wilder Ritt auf dem Gefühlszug. Der Hauptteil des Songs wurde vom vulkanischen Geist unseres neuen Gitarristen Francesco komponiert, zu dem wir die eher nach „Relics“ klingenden Riffs hinzugefügt haben. Ich hatte einige Ideen für Gesangsmelodien, die perfekt zu der verzweifelten und doch hoffnungsvollen Stimmung zu passen schienen, die wir mit dem Song erzeugen wollten. Sicherlich einer der unerwartetsten Stilwechsel auf dem Album.“

Die perfekte Selbstpräsentation

Nach etwas ruhigem folgt mit „Lament“ ein richtiger Black-Metal Kracher, welcher dank den Vocals von Jei und der Schnelligkeit des Instrumental beim mehrmaligen Hören immer mehr an Beachtung gewinnt. Genau der richtige Stoß den wir in diesem Moment gebraucht haben, ohne an Emotionen zu sparen. Hut ab! Doch warum nun Selbstpräsentation? Dann versucht mal die versteckten Referenzen zu den alten Werken der Band im Song zu finden. Mal sehen, ob ihr alle Indizien entdecken könnt.

Japanische Kunst als Metapher

Golden Shards“ hätte mit seiner Integrität durchaus auch als Metalcore-Song durchgehen können, wenn das Ende nicht derartig „heavy“ geworden wäre. Bassist Gio verriet uns, dass dieser Track den Neu-Gitarristen Francesco von Despite Exile überzeugt habe, mit an Bord zu kommen. Wir können dem Ganzen nur zustimmen: mit den Blastbeats und Riffs wären wir sofort mit dazu gekommen! Der Song handelt von „Kintsugi“ – die japanische Kunst, Risse mit Gold zu reparieren – als Metapher für Verletzlichkeit. Auch hier beweisen die Norditaliener abermals das Fingerspitzengefühl, die Themen gekonnt zu verpacken und uns schmackhaft anzubieten.

“Wear your wound as a crown”

Den vorletzten Track, welcher den Namen „Hymn Of Failure“ trägt, beschreibt Gio am besten und daher wollen wir ihm hier ganz den Vortritt lassen:

„Ich glaube, dass eines der Riffs, aus denen dieser Track besteht, möglicherweise das älteste des ganzen Albums ist und bis ins Jahr 2018 zurückreicht. Es stammte von einem Song, den wir nicht loslassen konnten, und als wir endlich einen Weg gefunden hatten, ihn umzuformulieren und ihm eine neue Form zu geben, war ich so begeistert, dass ich den Text innerhalb einer Stunde nach Erhalt der Vorabversion schrieb. Unnötig zu sagen, dass das Finale so passend für einen Albumabschluss war, dass wir diesen Weg einschlagen mussten. Es ist eine Huldigung des Scheiterns und des Irrtums als Möglichkeiten, sich neu zu erfinden; und auch eine Aufforderung, das eigene Trauma als etwas zu zeigen, das einen definiert.“

Titeltrack zum Abschluss?

So war unsere Vermutung zu Beginn, als wir uns die Tracklist der LP angeschaut haben. Doch auch „Wound“ erstrahlt in demselben Interlude-Licht wie sein Vorgänger „From The Black Beyond„. Bedeutet also eigentlich ist „Hymn Of Failure“ der letzte „echte“ Song auf der Platte, doch auch „Wound“ versetzt uns nochmal in eine kleine Schockstarre, um das Album in ordnungsgemäßer Kontrolle Revue passieren zu lassen.

Fazit:

Immer wieder habe ich mich gefragt, was die Jungs um Despite Exile mit deren Genre-Zuordnung des Post-Deathcore meinten, doch dieses Album „Wound“ zeigt es eigentlich ganz deutlich: es wird eine wilde, aber keinesweg chaotische, Mischung aus Deathcore, Black Metal und Metalcore gespielt, die auf keinen Fall nur direkt dem Deathcore zugeordnet werden sollte. Ganz deutlich möchten sich die Norditaliener nicht einem direkten Genre zuordnen lassen und das brauchen sie auch nicht. Spaß machen nicht nur die unterschiedlichen Screams und Gesangseinlagen, sondern auch die Instrumentals mit den genialen Riffs, den Drums und den unterschiedlichsten Breakdowns. Hervorheben wollen wir nochmals die geniale Art der Band, uns Themen und Emotionen derart gut zu verpacken, dass wir wohl alles essen würden, was sie uns vorsetzen (ob Pizza oder Nudeln, ganz egal).

Rating:

Für ein wirklich sehr gelungenes und auch vielfältiges Werk, geben wir sehr starke 9 von 10 Punkte für „Wound“ von Despite Exile und freuen uns schon tierisch, die Jungs demnächst in Deutschland begrüßen zu dürfen.

Despite Exile sind:

Jei Doublerice – Vocals, Produktion
Giovanni Minozzi – Bass, Lyrics
Giacomo Santini – Gitarre, Synthies
Alessandro Carminati – Gitarre
Francesco Comuzzi – Gitarre
Simone Cestari – Drums

Info
30. November 2022 
22:13 Uhr
Band
Despite Exile
Genre
Deathcore Post-Deathcore
Autor/en

 Seb

Fotocredit/s
Pressefoto
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