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Heaven Shall Burn – Heimat

Mit „Heimat“ liefern Heaven Shall Burn ihr zehntes Studioalbum ab – ein Werk, das nicht nur musikalisch, sondern auch ideologisch eine Weiterentwicklung markiert. Der Titel provoziert: „Heimat“ ist ein stark aufgeladenes Wort, das zwischen romantischer Verklärung und rechter Vereinnahmung pendelt. Die Band geht damit bewusst in die Konfrontation und definiert den Begriff neu – als Ort der Solidarität, als innerer Kompass und als Ausdruck des Widerstands gegen Ausgrenzung und Dogmen.

Musikalisch erwartet uns ein wuchtiges, dennoch vielschichtiges Werk – geprägt von typischem HSB-Riffing, cineastischen Arrangements, elektronischen Akzenten und einem unerschütterlichen Humanismus. Produziert wurde das Album erneut von Gitarrist Maik Weichert, unterstützt durch orchestrale Beiträge von Mondëna Quartet und dem Sophia Chamber Choir, sowie erstmals mit einer stärkeren elektronischen Ebene, eingebracht von Christian Bass und Freunden aus der Szene.

Tracklist:

  1. Ad Arma
  2. War Is The Father of All
  3. My revocation Of Compliance
  4. Cofounder
  5. Empowerment
  6. A Whisper From Above
  7. Imminence
  8. Those Left Behind
  9. Ten Days In May
  10. Numbered Days (feat. Jesse Leach of Killswitch Engage)
  11. Dora
  12. A Silent Guard
  13. Inter Arma

Wenn Stille zur Waffe wird – der Weg ins Inferno

Ad Arma“ ist ein cineastischer Auftakt. Streicher, Chöre, leise Dissonanzen. Die Atmosphäre baut sich langsam auf – als würde ein Sturm bevorstehen. Kein Song im klassischen Sinne, aber ein gelungener Prolog, der die Spannung auf das Kommende erhöht.

Mit „War Is The Father of All“ folgt ein brachialer Opener, der das Album mit donnernden Gitarren und monumentalen Orchesterflächen eröffnet. Der Titel – ein Zitat des Philosophen Heraklit – wird hier musikalisch wie inhaltlich wörtlich genommen. Die Gitarren sägen, die Drums peitschen, die Streicher bauen eine theatralische Größe auf, ohne kitschig zu wirken. Der Song ist ein Paradebeispiel für das, was HSB ausmacht: politisches Bewusstsein, metallische Gewalt und kompositorische Weitsicht.

Aufbegehren und Anderssein – Zwei Hymnen gegen Gleichgültigkeit

Ein Manifest gegen passive Duldung. Sänger Marcus Bischoff brüllt: „End tolerance for ignorance“ – ein klarer Appell, sich nicht mehr mit halbgaren Kompromissen zufriedenzugeben. Musikalisch ist „My Revocation Of Compliance“ ein typischer HSB-Song im Midtempo-Bereich, mit einem brettharten Breakdown und melodischen Leads. Textlich ein Aufschrei gegen politische Apathie und gesellschaftliche Lethargie.

In Folge dessen kommt „Confounder„, einer der überraschendsten Tracks des Albums. Synths, elektronische Texturen und ein beinahe tanzbarer Groove kontrastieren mit den brutalen Shouts. Die Message: Selbstermächtigung und kollektives Aufbegehren. „Confounder“ steht für jenen, der stört, der aufrüttelt, der keine Ruhe gibt – genau das will auch die Band sein. Ein Song, der provoziert, aber hängen bleibt.

Vom Aufbruch zur Andacht – zwei Seiten innerer Stärke

Weniger pathetisch, dafür direkter geht es auf „Empowerment“ zu. Die Gitarren wirken fast punkig in ihrer Stoßrichtung, das Tempo ist hoch, der Text schneidet tief. Es geht um Eigenverantwortung in einer Welt voller Eskapismus und Opferhaltung. Der Song ist wie ein kollektiver Tritt in den Hintern – ehrlich, motivierend, kraftvoll.

Mit „A Whisper From Above“ folgt der erste wirklich epische Song des Albums – mit düsterer Atmosphäre und einem deutlich melodischeren Grundton. Gitarren harmonieren mit symphonischen Elementen, ohne an Härte zu verlieren. Thematisch bewegt sich der Track zwischen Hoffnung und Verlust – ein Flüstern aus einer anderen Welt, vielleicht aus der Vergangenheit, vielleicht aus der Zukunft. Emotionaler Höhepunkt für mich.

Ruhe, Requiem, Rache – der Mittelteil mit maximaler Wucht

Imminence„, ein ruhiges Interlude, das sich wie ein Innehalten anfühlt. Instrumental, getragen von Piano, Streichern und Hallflächen. Der Titel lässt bereits erahnen: Etwas Großes steht bevor. Als Brücke innerhalb des Albums klug gesetzt. Und nun wissen wir auch, warum der Song so zur passenden Band steht.

Darauf folgt „Those Left Behind„, ein Song für die Unsichtbaren, die Übersehenen, die Vergessenen. Thematisch bewegt sich der Track zwischen Krieg, Migration und sozialer Isolation. Musikalisch kombiniert er hymnische Refrains mit klassischer Metalcore-Dynamik und unterschwelligen Elektronik-Sprenklern. Besonders stark: der melodische Mittelteil, der Raum für Nachdenklichkeit lässt.

Schneller, aggressiver, kompromissloser geht es auf „Ten Days In May“ zu. Der Titel spielt auf die letzten zehn Tage des Zweiten Weltkriegs in Deutschland an – ein Abgesang auf falsche Mythen, gepaart mit der rohen Energie klassischer Death-Metal-Riffs. Blastbeats, Doublebass-Attacken, eine Wucht von Song.

Metalcore-Geschichte und Menschheitsdämmerung

Numbered Days“ ist ein Cover des Killswitch Engage-Klassikers, aufgeladen mit der Stimme des Originalsängers Jesse Leach – eine Hommage an eine der stilbildenden Bands des Metalcore. Der Song bleibt nah am Original, gewinnt aber durch HSBs tiefere Tuning und Marcus’ harsche Vocals eine neue Dringlichkeit. Fanservice, aber mit Herz.

Dora“ ist eine düstere Kriegsbetrachtung – inspiriert vom „Schwerer Gustav“-Projekt der Nazis und seiner psychologischen Wirkung. Der Sound ist schleppend, schwer, fast Doom-artig. Die Gitarren drücken wie Panzerketten, die Vocals wirken resigniert. Hier geht es nicht um Heldenmut, sondern um Grauen.

Stille als Schlusswort – zwischen Trauer, Trost und Einkehr

Silent Guard“ ist ein melancholischer, nachdenklicher Song. Er lässt Raum – für Stille, für Reflexion. Die Gitarren sind cleaner, der Song fast balladenhaft. Nach der vorangegangenen Schwere ist dieser Track wie ein Moment der Trauer – oder der Vergebung.

Wieder folgt mit „Inter Arma“ ein rein instrumentales Stück, das den Kreis schließt. Cinematisch, würdevoll. Es erinnert an „Ad Arma“, nimmt aber die Melodien des Albums auf und führt sie in eine stille Katharsis.

Fazit:

Heaven Shall Burn liefern mit „Heimat“ nicht nur eines ihrer stärksten Alben seit Veto oder Iconoclast, sondern auch eines der relevantesten Werke im deutschen Metal der letzten Jahre. Die Verbindung aus musikalischer Härte, orchestraler Weite und politischem Engagement ist beeindruckend – ohne plakativ zu wirken. Die Band bleibt sich treu, aber wagt genug, um frisch zu klingen. Besonders die elektronischen Elemente und die orchestrale Dichte setzen neue Akzente.

Ein Album, das nicht nur gehört, sondern diskutiert werden will. Ein starkes Statement – musikalisch wie menschlich.

Rating: 9,5 von 10 Punkten

Info
26. Juni 2025 
21:37 Uhr
Band
Heaven Shall Burn
Genre
Metalcore
Autor/en

 Seb

Fotocredit/s
Candy Welz
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