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Hot Milk – „A Call To The Void“

Für manche mag es sich so anfühlen, als würde es schon lange auf sich warten lassen. Doch nur Hot Milk selber konnten wissen, wann es an der Zeit ist, ihr Debütalbum auf uns loszulassen! Wenn man bedenkt wie die Musiker aus ihren Startlöchern gekommen sind, so scheint es eine verdammt lange Wartezeit für ihre Fans gewesen zu sein. „Awful Ever After“ war ihre Debütsingle (2019), die keine Anzeichen von Kinderkrankheiten aufwies, ein Stück funkelnder, treibender, düsterer Pop-Rock, der fast im Alleingang dafür verantwortlich war, Hot Milk auf eine so erfolgreiche Bahn zu bringen.

Die Band nutzte sozusagen ihre drei veröffentlichten EPs, um ihren stadiontauglichen Sound für ihr erstes richtiges Album zu verfeinern und überschritt dabei mit Leichtigkeit wichtige Meilensteine. Ausverkaufte Touren, Festival-Hauptbühnen, Support für die Foo Fighters und Pale Waves und ein Auftritt bei Jimmy Kimmel – doch das soll erst der Anfang sein.

Aber wenn man Hot Milk jetzt mit ihren Anfängen vergleicht, wirken sie doch ziemlich anders. Die Tracks auf dem Debütalbum bewegen sich auf einem schmalen Grat zwischen Humor und Ernsthaftigkeit und strotzen nur so vor positivem Nihilismus. Sie suchen nicht so sehr das Licht in der Dunkelheit, sondern sie bringen einen zum Lachen, weil man ansonsten weinen müsste. Auch vom Sound her haben sich die Briten auf eine düstere und deutlich härtere Schiene eingelassen, was dem Ganzen für uns den nötigen Kick verleiht.

Mit ihrem Debüt „A Call To The Void“ sind Hot Milk auf dem besten Weg, sich in die oberen Ränge der internationalen Rockszene zu spielen. Doch ganz langsam, wir gehen nun Schritt für Schritt auf ihre LP ein.

Die Tracklist liest sich wie folgt:

1. WELCOME TO THE…
2. HORROR SHOW
3. BLOODSTREAM
4. PARTY ON MY DEATHBED
5. ALICE COOPER’S POOL HOUSE
6. ZONED OUT
7. OVER YOUR DEAD BODY
8. MIGRAINE
9. BREATHING UNDERWATER
10. AMPHETAMINE (feat. Julian Comeau & Loveless)
11. FORGET ME NOT

„Am I the darkness?“

Eingeläutet wird die Debüt-LP mit einem kleinen Intro, welches auf den Namen „Welcome to the…“ hört und uns perfekt auf das, was da kommen mag, einleitet. Nicht umsonst folgt darauf dann direkt die erste Vorab-Single „Horror Show„, die uns damals bereits einen ersten guten Blick auf das neue Album geben sollte. Dieser Track kommt in Form eines Drum-and-Bass-Kolosses daher, der ungestüm eine neue Ära von Hot Milk einläutete, eine, die mutiger, frecher und eindrucksvoller ist als je zuvor. In der FUTURE ARTIST-Show von Radio 1 kommentierte Jack Saunders:

“The odds are pitted against this band, it’s not often a traditional emo breaks through, but Hot Milk have fought the whole entire way to make their mark, find their way into your top tens, become a favourite for you, and Horror Show’s the best yet.”

Besonders cool wurde es dann, als VEVO noch mit in das Boot aufgesprungen sind und zwei ihrer Vorab-Veröffentlichungen noch unbedingt in ihre Live-Sessions mit aufgenommen haben. Daher zeigen wir euch nun nicht das Musikvideo zu „Horror Show„, sondern die VEVO-Aufnahmen. Diese liefern einfach die perfekte Symbiose zwischen dem Sound der Band und ihrem unmissverständlichen Live-Auftreten.

„Livin in my bloodstream“

Auf dem nachfolgenden Song „Bloodstream“ beweisen die Musiker, stammend aus Manchester, dass sie ein echtes Händchen dafür haben, sich auf eine Art und Weise zu entladen, die eine Blockbuster-Emotionalität zulässt. Die Synth-popartigen Shuffles, die den ganzen Track über wie auf Wolken tragen, ähneln den älteren Werken deutlich und dennoch bemerkt man hier und da, eine kleine, aber feine Weiterentwicklung.

Sängerin/Gitarristin Han Mee erklärte, dass der Song zu ihnen kam, anstatt in langen Stunden in einem Studio erarbeitet zu werden, und dass er komplett in den geisterhaften frühen Morgenstunden in Los Angeles geschrieben wurde:

„We started it in the early hours just as it was home time… immediately we knew that this song was something different for us yet had come from nowhere. One of them rare moments where the song jumped from the ether and wanted, nay needed to be written. That feeling of necessity, a song almost undeniable and inescapable, mirrors the feelings of unhealthy adoration, themes of chasing short-term thrills and how those situations can lead to self-loathing. Unhealthy adoration comes in many forms, the short term thrill for the post-high collapse can create an abusive relationship. You think it’s love, you think you’re in control, you think you can say no if you needed to but you’re not the one in the driving seat anymore.“

„Ladies and Gentlemen it was a cold blooded premeditated murder“

Hot Milk ruhen sich nie auf ihren Lorbeeren aus und haben noch nie halbe Sachen abgeliefert. Mit dem Folgesong „Party On My Deathbed“ haben sie die Erwartungen meiner Meinung noch übertroffen, indem sie erneut einen Gang höher geschaltet haben, um eine offenherzige und ikonoklastische Partyhymne abzuliefern, die keine Rücksicht auf die Zukunft nimmt, sondern fest und entschlossen im Hier und Jetzt verankert ist.

Der Track, der in der feurigen Ausschweifung von Backstage-Bereichen und Late-Night-Bars geschmiedet wurde, kombiniert die Vorliebe der Band für elektronische Beats, synthetische Melodien und harte Riffs, was zu einem Sound führt, der an The Prodigy ebenso erinnert wie an Paramore.

Co-Sänger Han Mee lädt „Liebhaber der Nacht, Hasser des Tageslichts, kommt alle“ dazu ein, sich hinter dem Track zu vereinen, der dazu aufruft, die Freak-Flaggen frei zu hissen, und alle Hörer dazu einlädt, eine Norm der Nichteinhaltung anzunehmen, sich Taten des Trotzes zu widmen und sich im Unkonventionellen wohl zu fühlen.

Sie kommentiert „Party On My Deathbed„:

„We can’t be helped, we just wanna squeeze out every morsel of this life and bein a bit of a wreckhead has come hand in hand with the pursuit of fun. can’t be stopped don’t wanna be stopped, we’re sorry but we’re not, maybe we’re just lost. Who cares, life’s about connection n getting off the fuckin internet n losing ur mind on the streets of manny and finding it again on your way home.”

Bist Du es, Alice Cooper?

Beim ersten Lesen des Songtitels „Alice Cooper´s Pool House“ war ich anfangs etwas verwirrt, doch diese Verwirrung sollte im Laufe des Hörens ganz schnell verschwinden. Der Track selbst ist eine große, schwungvolle Nummer, die von ihrem zentralen Stop-Start-Riff gehalten und getragen wird. Ganz besonders ist dann das Ende und ein paar Worte von Alice Cooper selbst, der einen Anruf bei seinem Kompassen tätigt, da mal wieder ein paar Jugendliche in seinem Pool-House gefeiert und dabei umgekommen zu seien scheinen. Eine witzige Wendung und ein cooler Gastauftritt, den Hot Milk meiner Meinung nach nicht viel besser hätten auswählen können.

Auf „Zoned Out“ geht es weiter mit energetisch geladenen Stadion-Rock, der dank seines rifflastigen Mittelteils die Synthies etwas übertüncht, was deutlich Lust auf eine der bevorstehenden Clubshows macht. Von solchen Tracks haben die Briten nun richtig was in ihrem Repertoire, wodurch der Hörer schnell gefesselt und genötigt wird, sich ein Ticket für die nächsten Shows zu kaufen.

„You are the Jesus of Nowhere“

Abermals zeigen uns Hot Milk, wie sie ihre Stärken am besten unter Beweis stellen können. So kommt das Durchtrennen der Reißleine, die die Metalcore-Growls auf „Over Your Dead Body“ zurückhält, besonders gut zur Geltung. Ja, ihr habt richtig gelesen: Metalcore-Growls. Dafür sind die Musiker aus Manchester nicht unbedingt bekannt geworden, doch auf dem Debütalbum darf es eben etwas härter und „unnormaler“ sein, in den Augen von Hot Milk. Für mich, demjenigen der eher im Metalcore-Bereich groß geworden ist, freut es ungemein solche Harsh-Vocals zu hören, gerade bei einer solchen Band. Dafür gibt es beide Daumen nach oben!

Migraine“ beweist dann, welche unterschiedlichen Vocal-Styles durch die Münder der beiden Gesangstalente kommen können. Sowohl Han als auch ihr Verbündeter Jim Shaw überzeugen mit wundervollen Clean-Parts, aber auch mit kleineren Rap-Einlagen. Ein Song, der im gesamten Konstrukt für mich etwas untergeht, aber dennoch keinen „Filler“ darstellt.

„I tried breathing underwater, to drown out the doubt“

Die letzte Vorab-Veröffentlichung vor dem Release von „A Call To The Void“ feierten Hot Milk dann mit „Breathing Underwater„. Hierbei handelt es sich um eine gigantische, wuchtige Ballade mit einer wunderschönen Streichersektion, die uns fasst solange unter Wasser halten würde, bis wir kurz vor dem Ersticken sind, nur um uns dann doch noch in aller letzter Sekunde wieder an die Wasseroberfläche katapultiert.

Über diesen Track sagt Sängerin Han Mee:

„Like when you break your own heart. To feel like you’re drowning, gasping for air, frustrated and alone. This song embodies the emotion and spirit of our current headspace, and we feel it may be the most important song we’ve ever pulled from the universe. This is Hot Milk’s true heart. Hot Milk is an emotion.“

Weiteres Gast-Feature

Auf dem Debütalbum von Hot Milk haben sich auch ein paar musikalische Freunde eingefunden, die der Band nochmal den nötigen Feinschliff mit auf den Weg geben wollten. Besonders erwähnenswert ist Julian Comeau von Loveless bei dem vorletzten Track „Amphetamine„. Einmal mehr setzt die Band ihre gewohnte und beherrschte Balance von Stimmen und Energien perfekt ein, selbst wenn sie eine neue Stimme in die Dynamik einführt. Der rasante und energiegeladene Song erreicht viele Höhepunkte, macht aber vor allem im Pre-Chorus und im Refrain süchtig – eine Eigenschaft, die Hot Milk auf diesem Album wirklich zu perfektionieren scheinen.

Das „Grande Finale“ macht dann der Album-Closter „Forget Me Not„, so als ob Hot Milk nach dieser LP darum betteln müssten, dass wir sie nicht vergessen werden. Abermals setzen die Vocals von Han und Jim besondere Akzente, doch die rohe und gewichtete Verletzlichkeit der Band, ein Gefühl, das aus jedem Wort aufsteigt und wie ein scharfer Stich trifft, macht bei diesem Song den Reiz aus. Was die instrumentale Leichtigkeit ausgleicht, ist die Schwere der Bedeutung. Nach all dem Chaos, der Energie und der Aufregung des Großteils der vorangegangenen Tracks auf dem Album, erdet „Forget Me Not“ die LP für einen Moment und reflektiert über die fortlaufende Geschichte und die Essenz der Existenz, die sich durch jeden Track zieht. Selbst in den Momenten des Wahnsinns müssen wir uns einen Moment Zeit nehmen, um nachzudenken…

Fazit:

Was war das bitte für ein wilder Ritt – und das von mir, einem Core-Kid der alten Generation, der normalerweise Breakdown after Breakdown hören will. Das hat schon einiges über den Sound der Band zu sagen!

A Call To The Void“ ist rein oberflächlich betrachtet ein fröhliches Album, aber wenn man die Lyrics aufschlägt und hinter die Fassade schaut, findet man zuckersüßen Nihilismus und Selbsthass. Die infektiöse, ansteckende Chemie, die wie ein Feuerwerk in die Nacht von Han´s und Jim´s Doppelgesang zündet – egal, ob sie nun mit Cleans dem Himmel zuwinken, ihre Dämonen mit Growls exorzieren oder sich mit Raps in Riffs stürzen – lässt jede Lyric mit der Intensität von Ekstase in deine Adern fließen.

Ob Hot Milk nun Moshpit-Kracher („Party On My Deathbed„, „Over Your Dead Body„), stadiontaugliche Banger („Bloodstream„, „Zoned Out„) oder Popsongs („Breathing Underwater„), die beweisen, dass sie einmalige Songwriter sind, eines ist klar: Wenn „A Call To The Void“ ihre Diplomarbeit war, haben sie sie gerade mit Auszeichnung bestanden.

Rating:

Mit vielen unwiderstehlichen Songs und noch mehr Tracks, die darum betteln, noch einmal gehört zu werden, ist das Album eine phänomenale Leistung der Band aus Manchester und eine Bestätigung für ihre ständig wachsende Anhängerschaft! Von mir gibt´s 9,5/10 Punkten, damit wir das nächste Mal noch eine leichte Steigerung zu spüren bekommen!

Info
23. August 2023 
9:44 Uhr
Band
Hot Milk
Genre
Alternative-Rock Pop-Punk Punk
Autor/en

 Seb

Fotocredit/s
Pressefoto
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